Ich gucke gern coming-of-age Filme und Serien. Aufgefallen ist mir dabei, dass bei den wenigsten offen thematisiert wird, dass wir alle Vorbilder haben, Menschen, die wir bewundern oder die uns anspornen, deren Haltung bei uns dazu führt, Neues zu entdecken und uns weiterentwickeln lässt, auf jede erdenkliche Art und Weise, positive wie negative.
Gerade als Jugendliche formen wir uns schnell in Kontexte und Stile ein, die uns im Grundhabitus oft erhalten bleiben. Und natürlich spielt dabei auch die Frage eine Rolle, ob man eigentlich beim Klassentreffen nach 20 Jahren immer noch so wahrgenommen wird, wie man immer schon war oder ob man sich total verändert hat.
Eine Psychiaterin meinte kürzlich zu mir, dass die Grundpositionierung, die man in der Jugend vornimmt, eigentlich Grundstein der Persönlichkeit bleibt. Die Leute wählen später mal andere Parteien als die, die sie früher wählten, aber die Erfahrungen und Einstellungen aus dieser doch recht kurzen Lebensphase der Pubertät und jungen Adoleszenz prägen Menschen ihr Leben lang.
Wer war da wichtig? Wie kam es dazu, dass man dann diese Wege geht und jene Haltung entwickelt? Und jetzt wo man in der Position ist, dass man unter Umständen zu einer wichtigen Person für andere werden könnte, gerade im Kontext Schule, was vermittele ich eigentlich? Und bin ich mir dessen bewusst?
Leben Sie eigentlich auch vegan, Frau Enn?
Nö, ich bin auch keine Vegetarierin, auch wenn ich alle Gründe dafür und für Veganismus verstehe und ihnen absolut zustimme.
Warum?
Tja, das weiß ich auch nicht. Ich mag halt gern Schinken? Und Schweine schlachten und das, was wir dabei erhalten, wert zu schätzen gehören zu meinem familiären Hintergrund, das wird man nicht so schnell los, wisst ihr, [ ab da legte sich das Interesse an meiner Sichtweise aber schon].
Dieselben Schüler*innen überraschten mich Wochen zuvor mit der Feststellung, ich sei ihr Vorbild. Das hat mich massiv beschäftigt, denn ich weiß nicht, in welchem Aspekt ich ein Vorbild sein könnte.
Style? Naja. Ich bin ein schlicht gekleideter Mensch.
Beruf? Wohl kaum.
Haltung? Ich neige zum Schwafeln. Aber ja, wahrscheinlich ist es die Haltung.
Also denke ich über meine Vorbilder nach. Zwei Menschen, die ich (noch immer) heldenhaft verehre, sind zwei meiner ehemaligen Lehrkräfte.
Herr Schaar deswegen, weil er uns Kinder unvoreingenommen an seiner Begeisterung (und Ablehnung) hat teilhaben lassen. Und weil er vorurteilslos zugewandt war.
Frau Walther, weil sie Schüler*innen weder ignorierte noch hervorhob. Sie spielte sich nie auf, erzog uns oder wollte vornehmlich führen. Sie begleitete uns, sprach auf Augenhöhe, wenn es nötig war und ließ uns gehen mit dem Gefühl etwas zu können, einzigartig für etwas zu sein, was schätzenswert und ausbaufähig ist.
Solche Haltungen hatte ich bis dahin nicht erlebt, nicht in der Familie, nicht im Freundeskreis, nicht in der Schule. Mit diesen zwei Schätzen, Begeisterung und Anerkennung, begann ich zu studieren und dort begegneten mir
Paula Modersohn-Becker, in deren Leben ich mich einlas und einfühlte, um die Kraft des eigenen Ausdrucks zu spüren, ganz gleich, was sonst erwartet wurde.
Virginia Woolf, deren Mut und Selbstvertretung vor so vielen Andersdenkenden meine Basis aufwühlte.
Hannah Arendt, deren Intelligenz und Beobachtungsgabe mich ermutigen sollte, mich nicht mehr klein zu machen.
Emmi Pikler, deren Bemühungen für ein anderes Verständnis von Selbstständigkeit von Kindesbeinen an Grundlage meiner täglichen Arbeit werden sollten.
Das sind meine Vorbilder. Menschen, deren Schriften und Bilder in mir immer wieder den Wunsch erneuern, etwas richtig gut zu machen, für mich und für andere. Aber vor allem Menschen, die in meiner unmittelbaren Nähe so viel Sinn gestiftet haben, dass ich mich verstanden gefühlt habe und beginnen konnte, mich selbst zu verstehen. Damit ich selbst wachsen kann.