Sie beobachtet mich, dabei legt sie den Kopf leicht schief. Mir fällt auf, dass sie den Kopf auch periskopartig drehen kann. Entkommen kann ich ihr daher also nicht. Deshalb starre ich zurück. Ich muss ja nicht zeigen, dass ich grundsätzlich nicht so geneigt bin, mich mit Enten abzugeben. Ich kann zurückgucken und signalisieren: Ich bin viel größer als du.
Geflügel macht mich seit meiner Kindheit nervös. Ein Hahn sprang mir, sechsjährig, auf den Kopf, eine Kralle riss mir eine Wunde in die Stirn. Die Narbe kann man noch ganz gut sehen, finde ich. Ich erinnere mich nicht an den Vorfall, wohl aber spüre ich es, in jedem Moment, in dem ein Vogeltier sich zu bewegen oder flattern beginnt. Sie sind böse.
Ich mag Geflügel also lieber tot. Mit Klebereis. Doch dieses hier, das muss ich jetzt anfassen. Es ist eine Baby-Ente, das wird doch nicht so schwer sein. Sie fiept. Ich auch. Aber ich traue mich, Baby-Enten haben noch kein aggressives Potential. Ich forme meine Hände zu einem Trichter und umfasse die Ente, hebe sie aus dem Kaninchenstall und stelle sie auf die Terrasse. Erleichterung. Easy. Ich nicke zufrieden, die Ente macht es sich bequem. Ich räume erstmal auf, Wassertauschen, Saustall. Ah, die Wärmflasche, ich weiß darum Bescheid. Das Wasser aus dem Trinkding kippe ich in Nachbars Rabatte, doch die Ente watschelt mir hinterher. Warum? Sie ist schnell, besorgniserregend schnell. Irritiert gehe ich in Umwegen zurück zum Ställchen, das Ententier folgt. Dann setze ich mich ins Gras, kuscheln wollen solche Enten jawohl nicht. Die soll sich mal ein paar Insekten und Weichtiere suchen. Sie schnüffelt rum, können die das überhaupt, riechen, aber ich schwöre: sie schnüffelt und nimmt Sachen in den Schnabel. Nein, lass das, das ist Plastik, du Tier! Ich zögere, ich kann doch die Ente jetzt nicht zwingen, was auszuspucken, die hat ja vermutlich nicht mal Spucke. Doch der panische Moment ist vorüber, die Ente schnäbelt alles wieder heraus, was ihr unschmackhaft erscheint. Sicherheitshalber schnappe ich mir das Plastikding, es ist spitz und Enten sicher nicht Hellsten.
Zoos, vor allem Kleintiergehege, meide ich. Das ist für Leute, die wissen, dass ich auf einem Bauernhof groß geworden bin, etwas irritierend. Ich mag auch keine Pferde. Warum auch? Einmal hab ich den Fehler begangen und habe Schüler*innen davon erzählt, dass ich Angst vor Hühnern habe. Da war natürlich die Freude groß. Einer holt die Story immer wieder raus und irgendein Witzbold macht Gackergeräusche und dann lachen alle dreckig. Ich sage dann nur: Zeugnisse, Kinder! Und gut ist´s. Haha!
Ich kann mir kaum was Unangenehmeres vorstellen als Geflügelhaustierhaltung. Ich persönlich finde ja, Hühner haben hinterhältige Gesichter, so spitzfindig. Enten, das waren doch die, die so zetern die ganze Zeit. Warum will man sich mit denen umgeben? Puten, Truthähne, Gänse – all diese Tiere haben Waffen. Pfauen, Schwäne, Pterodaktylen und Dodos – einige hat es zumindest ja schon erwischt. Straußen und Emus – Geflügel in groß!
Ich muss mich ablenken. Die Ente soll laut Nachbars Plan nun ins Schwimmbecken. Aber vorher muss ich das Wasser bei den Kaninchen im Schuppen tauschen. Kaum betrete ich diesen, geht ein Gezeter draußen los. Besitzergreifend sind sie also auch noch. Die Ente steht an der Türschwelle (wie kann das überhaupt sein, eben war sie noch in der Rabatte), irritierend. Das Tier hört nicht auf zu meckern. Befinde ich mich in Lebensgefahr? Oder die Ente?
Ich trete vor die Tür, alles gut. Ich gehe einen Schritt zurück in den Schuppen – die Hölle bricht los. Aha! Eifersüchtig. Das Konzept, sich Kaninchen zu halten verstehe ich aber auch nicht.
Jetzt muss ich wieder ran, die Ente muss ins Becken gesetzt werden. Dafür muss ich sie anfassen. Aber sie läuft vor mir weg. Eben noch anhänglich und jetzt das. Ich tapere also zaghaft hinter ihr her, aber das Tier ist gewitzt, das Gartenmobiliar ist für mich hinderlich, für die Ente nicht. Das geht nun einige peinliche Minuten so, bis ich sie habe. Ich visualisiere trichterförmige Greifhände und erinnere mich gezwungenermaßen an die vorhin ausgiebigst observierten Körperteile wie Füße und dergleichen, ob nicht schadensbringende Zusätzen festzustellen seien. Die Watschelfüße erschienen mir harmlos, der Schnabel ist abgerundet. Keine Gefahr erkannt, Contenance gebannt, oder so ähnlich.
Ich setze die Ente ins Wasser und beobachte den Turbo-Boost der Füße, wenn sie voll abpaddelt, um den Untergrund aufzuwühlen. Aber lange hat sie darauf keinen Bock und guckt mich wieder so an. Nasse Ente anfassen finde ich noch widerwärtiger als trockene. Aber der Putzvorgang ist als überaus putzig zu bezeichnen. Wo die überall den Kopf hinkriegt. Abhängen ist als Ente auch easy, einfach hinhocken und um einen rum entsteht wie von selbst ein weiches Rundumsofa.
Wir gucken uns gegenseitig ein bisschen an. Du hast im Gulli gelegen und deine Familie verloren. Und die Nachbarn haben dich gefunden und päppeln dich jetzt auf. Ich sollte heute kurz mal das Entensitting übernehmen, man will ja schließlich auch mal einen Tagesausflug machen, recht so, recht so.
Ich kann Entensitting, vielleicht ist das meine persönliche Queste, um Vorbehalte gegen Geflügel abzubauen. Ich bin auf einem guten Weg.
Um 22:33 Uhr sind die Nachbarn immer noch nicht zurück und die Ente braucht doch die Wärmflasche für die Nacht. Ich mach das einfach. Mit dampfendem Kessel und Handylicht tapse ich in den benachbarten Garten. Ich öffne das Ställchen, das Ententier gnatscht nur müde, ich hinterlasse Wärme und ich lächele selig.
„Ente gut, alles gut“, sag ich jetzt ganz bestimmt nicht, habe ich sowieso nie verstanden. Ich mag eigentlich kein Geflügel.