Aaah, Klassenfahrt – spannend!

Ich sehe Menschen so gerne lächeln. Hier lächeln viele auf dieser Klassenfahrt, alle sind überwiegend relaxed und fröhlich. Natürlich muss man da von jenen absehen, die sich einer immensen Bedrohung ausgesetzt sehen, deren markzerfressende Eigenschaft schon eingesetzt zu haben scheint. Schimmel im Badezimmereck – ein Quell an vielfältigen und bewegungsverhindernden Symptomen. Zumindest beteuert es eine Traube Mädchen, die eigentlich zum Paddeln soll. Ich zweifle an, dass es sich in ihren Zimmern um Schimmel handelt und teile Ihnen diese Vermutung mit: Ihr duscht doch alle nacheinander, oder? Und die kleine Lüftung ist damit überfordert, richtig? Und dann macht ihr auch nie das Fenster auf zum Lüften? Durch das Wasser an den Wänden sieht die Tapete recht schnell so aus, wie sie aussieht. Wenn es Schimmel wäre, dürften die das hier so gar nicht betreiben. Die können aber auch nicht nach jeder Klasse einmal wöchentlich renovieren, das ist euch doch klar?

Leider sind sie keineswegs zufrieden mit meiner Vermutung. Denn durch den akuten Befall von etwas können und wollen sie nicht am Paddelspaß teilnehmen, eine Unding, eine Zumutung, voll der Scheiß ist das, dass die das jetzt machen sollen. Ich niese erst und weise dann, besorgt natürlich, insgesamt daraufhin, dass sie wahrscheinlich, wie die Hälfte der Gruppe auch, einen kleinen Infekt haben und gerne in der Herberge bleiben könnten, weil auch ich hier bleibe und dann könnten sie den ganzen Tag – wie ich- im Bett liegen und wenn sie was bräuchten, kein Problem, ich würde immer mal nach Ihnen sehen. Eine kleine Besprechung in einer Traube Menschen folgt. Die spontane Selbstheilung kennt keine Grenzen, wenn man es sich dann recht besieht. Nur die wirklich sehr Kranken bleiben also hier wie ich und ich schlafe um Regeneration ringend, während der größere Teil der Belegschaft lächelt und lächelt.
Man hat Programm, und das Programm zieht den Strom sehr langsam gehender Jugendlicher mit sich von einem Knaller zum Nächsten. Jugendliche begrabbeln sich dabei gern, andauernd. Natürlich nicht alle. Das muss auch gar nicht, aber es ist schon niedlich anzusehen, wie sich die Kinder gegenseitig die Füße wegkicken, wie sie sich in Richtung Gleisbett schubsen, nur um dann die Gelegenheit zu nutzen, die geschubste Person an den Armen zu packen und zurück zu reißen. Ich bin begeistert, wie sehr sie sich umeinander kümmern, sie rubbeln Arme, kraulen Rücken, legen ihre Köpfe auf die Körper ihrer Lieben. Einer legt lässig den Ellenbogen auf der Schulter eines anderen ab und ich denke so: Ich würde ja umfallen dabei. Aber sie halten aus, harren der Dinge, fummeln herum, tauschen die Jacken und sogar die Schuhe. Selbst wenn es Größenunterschiede gibt. Die Freundschaft ist größer! Die Person mit der größten Handtasche trägt bereitwillig alles, andere nur mit dünnen Leibchen bekleidet suchen nach sonnigen Plätzen oder rubbeln sich an ihre Vertrauten. Und der Kreis der Vertrauten umfasst in der Regel mindestens 2 bis 6 Leute. Ich bin wirklich neidisch. In meinem Alter würde mich meine Freundin schräg ansehen, wenn ich sagen würde: Ey, kraul mal hinten, bidde! Oder wenn ich die Hand ausstrecke um zu signalisieren, dass ich aus ihrer Wasserflasche zu trinken gedenke. Jetzt weiß ich auch, warum diese Kinder immer im Rudel krank sind!
Der verstörende Geruch nach Verwesung – auch so eine markante Erinnerung an die Klassenfahrt. Ein Schelm, wer jetzt denkt, ich meinte damit die Zimmer der Jugendlichen. Nein, dazu kann ich nichts sagen, in deren Nähe wage ich mich nicht. Diesen Fehler begehe ich nicht noch einmal. Nur im Notfall, wenn ich ausdrücklich herein gebeten werde. Ich tarne meinen Selbstschutz mit dem Prinzip des Respekts vor der Privatsphäre anderer. Im Herbergsgarten aber verwesen Vogel und Ratte Seit an Seit, ich überlege 2 Tage lang, ob ich da mal jemandem Bescheid sagen soll. Dafür müsste ich aber nochmal gucken, wo genau die beiden Todesfälle liegen und das ist mir grundsätzlich zu nah an der Stinkequelle. Auf der Mensaterrasse erwischt man auch immer mal wieder einen Hauch, aber da ich zudem auch erkältet bin, hoffe ich auf die dauerverstopfte Nase und betreibe Mundatmung.
Wir rattern das Programm durch: Schlösser angucken mit Audioguide, Antworten auf Fragen wie: Wo sind wir hier nochmal, Wie lange noch? oder Wann ist Freizeit? Churchill und die anderen Typen in dieser Potsdamer Konferenz, von der hier alle reden, im virtuellen Rundgang filetieren und so weiter. Man wird mit Eicheln beworfen, man trumpft auf, weil man effizient die elektronische Fahrplanauskunft beherrscht. Mal ist man der Hit, mal nehmen sie einen nicht ernst. So ist das als Lehrkraft.

Unser aller Highlight ist aber Steffen, der Tourguide auf der Berlin-bei-Nacht-Stadtführung. Wer jetzt denkt, man wird Zeuge zwielichtiger Orte und Etablissements, der irrt. Es geht um verstörend langatmige Geschichten über Höfe, Häuser und wer hier mal gewohnt hat. Leider kennen die Kinder niemanden aus der illustren Reihe. Steffen aber kommt damit klar:

  • er ist nämlich hochflexibel (er weiß zu jeder Sache in Berlin eine ganz persönliche und ausdrücklich private Anekdote von mehr oder weniger Unterhaltungswert zu berichten), –
  • er ist geschult im Umgang mit Störungen (er redet einfach immer lauter und macht dabei Witze auf dem Humorniveau der 1990er Jahre, was Zuhörer:innen maximal verwirrt),
  • er ist kritikfähig (weil er nichts auf sich bezieht)
  • und er hat für jede Situation eine Lösung (Frau Tee sagt: Nee, wir brechen jetzt ab! Die Schüler*innen fallen ja gleich um! Steffen sagt: Dann bring ich euch aber noch zur Bahn, auf dem Weg dahin gibt es noch einiges zu sehen!).
Einmal höre nur noch ich zu und eine Handvoll Jugendlicher, bis sich Steffen groß macht und fragt: Ja, ick mach det nich nur zum Spaß, hört hier irgendwer noch zu? Und eine Schülerin im Brustton der Überzeugung antwortet: Nein! Ich habe lange darüber nachgedacht, ob das Verhalten einiger Schüler*innen ihm gegenüber nun eigentlich respektlos war oder man es noch als ausgelassen bezeichnen hätte können. Steffen selbst war ja auch ein Witzbold, der neckisch ein Sprüchlein an den nächsten reihte. Aber insgesamt möchte ich diese Tour, abgespeichert unter Zwischenfall, lieber vergessen.
Schön zu sehen war, wie der allgemeine kosmopolitische Geist der Jugend nach einem Zusammenstoß mit vermeintlich drogenabhängigen oder obdachlosen Menschen, schlagartig schrumpft. Schon wissen sie ihr friedliches Kleinstädtchen mehr zu schätzen und freuen sich auf die Heimreise. Wo es vorher noch hieß: Berlin ist meine Stadt, brachten sie nach der nächtlichen Stadtführung nur noch ein Wimmern zustande.

Und auf der Rückfahrt halte ich in der Bahn den Vierer frei für uns Lehrkräfte und ernte vernichtende Blicke von Seiten der Schüler:innenschaft. Lange hält der Groll nicht an, da jetzt gefühlt alle erkältet sind. Wir machen noch kleine Prognosen, wie viele Schüler:innen am Montag krank sind, während ich Eukalyptusbonbons verteile. Ein Mädchen hat nichts zu trinken mit. Ich reiche ihr mein Erfrischungsgetränk. Dann schlafen die Babies alle ein. Wir fiebern literally dem Zielort entgegen. Und schon ist die Fahrt vorbei und alle zerstreuen sich in alle Richtungen! Ich summe zufrieden und erschöpft Touch me I‘m Sick von Mudhoney, als ich dem Gatten in die Arme falle. Abholi!

Aber eins möchte ich noch loswerden, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass viele Leute gar nicht wissen, wie das so ist. Wir Lehrkräfte gehen bei Klassenfahrten in Vorleistung und müssen genau wie die Kinder unseren Anteil bezahlen. Es obliegt der Planung in der eigenverantwortlichen Schule, ob sie Gelder bereit hält, um den Lehrkräften die Fahrt hinterher teilweise zu erstatten. Das ist nicht immer der Fall. Wir fahren gerne mit unseren Schüler:innen auf Klassenfahrt, aber wir haben auch wirklich Respekt vor dieser Aufgabe, denn man trägt die Verantwortung für alle, die ganze Zeit und man ist in einer fremden Stadt. Und wir bekommen eine Stundenvergütung für die Klassenfahrt: ganze 5 Stunden plus für alle 5 Tage Klassenfahrt zusammen. Spannend, oder? Zumindest nicht entspannend…

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