Inklusion durch Gespräche – vom Hosenkaufen und Formblätterausfüllen

Es könnte wesentlich einfacher sein, wenn man den Prozess beschleunigen könnte, der sich tatsächlich schon abzeichnet in der Gesellschaft, Akzeptanz und Offenheit gegenüber Mitteln und Wegen, es in Sachen Vielfalt anders zu sehen und zu machen. Ich weiß, der politische Diskurs als Welle von Rassismus, Antifeminismus und Ablehnung ist überpräsent. Jetzt mehr denn je.

Ich aber glaube ja an die Macht der kleinen Gespräche. Die Menschen leben schon in Vielfalt und profitieren davon. Sie lassen sich nur Angst machen von Narrativen, von fiesen kleinen Kommentaren und Gesprächen, die überall verbreitet sind und werden. Von wenigen und vor allem solchen mit bösen Absichten. Ich glaube immer noch, dass mehr Menschen tolerant und verständnisvoll sind. Ich glaube immer noch, dass wir trotzen können, gerade weil wir vernunftbegabte, anständige Menschen sind. Wenn wir es denn sind.

Die Macht der kleinen Gespräche heißt für mich, random Leuten zu erzählen, dass ich in der inklusiven Schule arbeite. Oder dass ich einen Sohn habe, der mit Autismus-Spektrum lebt. Meine Erfahrung damit ist, dass die meisten Menschen Fragen stellen, neugierig sind, wissen wollen, wie ich damit umgehe, wie das geht. Oder sie strahlen mich an und erzählen mir, wie zuletzt die Hosenverkäuferin, der ich erklärte, ich würde jetzt Hosen anprobieren, die aber mein Sohn tragen wird, wir haben die gleiche Größe, dass sie selbst eine Schwester im Autismus-Spektrum habe. Oder ich erwähne Aspekte der Neurodivergenz, dass Erfahrungen und Bedürfnisse nicht an der Masse abzugleichen sind und eine Jugendliche blickt mich, als wolle sie sagen: Ja, endlich sagt das hier mal einer laut, was man auf Social media immer liest und nicht glauben kann, weil keiner es anspricht. Ich möchte nur sichtbar machen, dass wir der Macht der kleinen fiesen Gespräche etwas entgegensetzen können. Einfach kleine gute Gespräche. Die Hosenverkäuferin sagt mit bedauerndem Ton: Meine Schwester ist eigentlich so schlau. Aber sie ist auf der Förderschule. Und ich erzähle ihr von der IGS meines Sohnes. Sie schaut mich neugierig an. Wir reden auch über Schwierigkeiten und warum Hosen einkaufen manchmal einfach nicht geht und wir lächeln. Das war schön und hinterher bedanke ich mich für ihre Offenheit.

Leider gibt es aber immer noch Ecken und Institutionen, die sowas von von gestern agieren und man fragt sich: Wieso ändern die das nicht? Wieso sieht da keiner, dass das so nicht mehr geht. Warum muss ich immer noch Busse sehen auf denen Behindertenbeförderung steht, schön groß. Mir hat mal jemand erzählt, das wäre eine Regel, dann müsse man weniger Steuern bezahlen. Geht das nicht anders?

Oder das Formblatt zu Schwerbehindertenangelegenheiten, das wir in der Schule zuweilen ausfüllen sollen:

Erste Frage: Wegen welcher Behinderung besucht das Kind ihre Schule?

Hallo? Es besucht die Schule, um zu lernen und nicht wegen einer Behinderung.

Zweite Frage: Welchen Schulzweig besucht ihr Kind? Worauf eine Aufzählung von Förderschulen folgt, die absolut nicht offen für die Möglichkeit wirkt, dass ein Kind mit Behinderungen 15 Jahre nach Inkrafttreten der UN Behindertenrechtskonvention eine Regelschule besuchen könnte. Es gibt nicht eine Formulierung in diese Richtung.

Ich kann mich an den Wortlaut nicht erinnern, aber es gab eine ähnlich diskriminierende Frage zu den Zukunftsplänen des Kindes mit Behinderung.

Mein Regelkollege gibt mir den Fragebogen und meint: Hat wohl was mit Gutachten zu tun, so Förderschule oder so. Keine Ahnung, was das soll.

Ich schüttele den Kopf: Nee, die wollen nur wissen, wie es läuft, der Fragebogen ist schon immer so gewesen, gib her, ich füll den aus, mit Anmerkungen zum Thema Inklusion, wie jedes Mal. Seufz.

Ich kenne den Zettel und ich habe ihn schon öfter kommentiert. Mit gelben Markierungsklebchen. Zurückgekommen ist nie was. Hallo? Inklusion! Schon mal gehört? Oder institutionelle Diskriminierung? Ist das bekannt? Ich formuliere das auf den Klebchen natürlich wohlwollend freundlich, kleiner Hinweis.

Es ist immer einfacher, wenn man die vielfältige Situation von Menschen in unserer Gesellschaft anerkennt. Wenn man weiß, unter welchen Umständen Menschen leben. Wie es ist, zu wenig Geld zu haben, wie es ist, ständig Anträge stellen zu müssen, wie es ist, seinen Kindern nicht das bieten zu können, was andere bieten, wie es ist, ständig der Werbung ausgesetzt zu sein, die suggeriert, dass alles möglich ist. Oder wie man es schafft ständig gegen Barrieren zu stoßen und nicht daran zu verzweifeln.

Wenn man nur in seiner Erfahrungswelt bleibt und diese auch als Bewertungsgrundlage nutzt, dann ist das zu einseitig. Ich empfehle Interesse am Gegenüber, Empathiefähigkeit und natürlich kleine gute Gespräche.

Oder erstmal kurz informieren über die Situation, zum Beispiel hier:

Inklusion – andererseits.org

Wie Deutschland Ausgrenzung als Inklusion verkauft – ZDFmediathek

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