Naja, offenbar sind wir meilenweit entfernt, …
Theaterclub
….aber irgendwie sitze ich gerade vor Kindern, die in der AG durch zufällige Wahl zusammengewürfelt wurden und darin beobachte ich zwei Kinder, wobei das eine durch Wortwahl und Gesprächsinhalt ungefähr 5 Jahre älter wirkt als das andere, obwohl sie eine Klasse besuchen und sie grinsen sich an. Ich rufe Pulk in Gruppen! und sehe ein sehr schüchternes Mädchen, die sich mit dem Los der Zuletztgewählten abgefunden hat, obwohl bei uns gar nicht gewählt wird. Sie bleibt sitzen, bis ein anderes Mädchen angestürmt kommt und sagt: Alter, Mariana, jetzt komm, du bist bei uns! Der einzige Junge in der AG wird von allen außer mir Per genannt und er lacht und sagt immerzu leise: Ich heiße Pierre, bitte schön!
Ich werde stetig kritisiert: Wir müssen beim nächsten Mal nochmal Ensembletraining machen, Frau Enn, das hat heut nicht gereicht, und dann ohne Aufwärmen und diese Spielchen, sofort Theater, okay? Einverstanden, sag ich lachend. Als ich vorhin zum Treffpunkt komme, liegen schon einige ermordet auf dem Schulhof. Zack, sag ich, nicht rumliegen hier und die anderen raunen mir zu: die proben schon!
Unterricht und Mittagspause
Und dann denke ich an die Mittagspause, wo wir Aufsicht führen sollen und dabei gemütlich essen und andauernd winken Kinder durch die Fenster und ich denke: Vorher, an der Förderschule, konnte ich mir das nicht vorstellen, dass ich mal so eingebunden bin in eine so große Schulgemeinschaft mit so vielen verschiedenen Professionen und Kindern. Und davor schreibt ein Junge eine Mathearbeit nach und er lächelt uns unsicher an, will lieber abgeben und wir sagen: Quatsch, guck dir das bitte nochmal an, du kannst das und siehe da, er kann es. Und ich weiß jetzt schon, wenn er die Arbeit morgen wiederkriegt, dann blickt er zu Boden und ringt mit sich, weil er noch lernen muss, stolz auf sich zu sein, aber wir Lehrkräfte stupsen ihn an und sagen: Denni, gut gemacht! Ungefähr eine Meile entfernt ist die Förderschule, auf die er auch gehen könnte.
Elternarbeit
Und als ich einen Vater anrufe, weil es Schwierigkeiten gibt, merke ich, dass er erleichtert ist, dass ich auch zu seinem Arbeitsplatz kommen kann, weil er immer bis abends arbeitet. Weil es dringend ist und wir das klären müssen. Bei der Vorbereitung auf den Elternsprechtag check ich aus, ob unsere Dolmetscherin an den Terminen Zeit hat, sie kann und ich freue mich über diese Zusammenarbeit.
Miteinander
In der 7. sitzt ein Junge, der neu ist in der Klasse und noch keinen rechten Anschluss hat, im Unterricht sitzt er teilnahmslos da, aber sobald die Lehrkraft ein Pausensignal gibt, schnappt er sich ein komisch gefaltetes Blatt Papier, saust zum Nachbartisch und schon knallen sie zusammen mit diesen AntiLehrkräfteOrigamiFolterinstrumenten herum und freuen sich. Und im Deutschunterricht stöhnen alle Kinder gemeinsam auf, als die Lehrkraft verkündet, der neue Unterrichtsinhalt sei nun Kurzgeschichten zum Thema Liebe, aber insgeheim freuen sich alle. Und beim Einstieg nutzt die Lehrerin eine digitale Echtzeit-Feedbackmethode, wo man Wörter in sein Ipad tippt und die erscheinen in einer gemeinsamen Wortwolke über den Beamer und keiner lacht wegen Rechtschreibfehlern oder komischer Antworten, jeder darf teilhaben und etwas beitragen und sie sprechen über die Vorschläge und ein Junge sagt, er sei Experte für Liebe und die Mädchen widersprechen, denn sie studieren förmlich das Angebot an Liebesliteratur über Wattpad. Was ist Wattpad, rufen wieder welche und wieder andere erklären, was das ist. Die Lehrkräfte fragen: Warum steht da Shrek? Und die Schüler*innen lachen sich schlapp, das ist dann wohl ein Klasseninsider.
Heterogenität
In einer Klasse mit 2 Kindern im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und 2 Kindern im Förderschwerpunkt Lernen, ein Mitglied der Klassengemeinschaft identifiziert sich als non binär, ein Mädchen hat die Grundschule mit selektivem Mutismus verlassen und hat sich in 3 Jahren bei uns in der Schule einen guten dialogischen Wortschatz aufgebaut, den sie auch nutzt, ein Mädchen kann Gebärdensprache, da ihre Eltern gehörlos sind, ein Kind hat eine sehr stark ausgeprägte Lese-Rechtschreib-Schwierigkeit und ist die Beste in Deutsch mündlich, ein Kind hat einen fast nicht zu stillenden Bewegungsdrang, sie setzt sich zwischendurch mit angezogenen Beinen auf einen Hocker in der anderen Klassenecke, weil es ihr dann besser geht, einer hat Probleme mit den Gefühlen und braucht Unterstützung durch eine Schulbegleitung, eine hat Prüfungsangst, einer plappert immer rein, alle in einer Klasse und jede*r fühlt sich dort pudelwohl.
Aber leider sind wir ja meilenweit von Inklusion entfernt, hab ich gehört. Von irgendwoher.