Theater ist mein x

Kürzlich habe ich eine tolle Theaterproduktion der Uni Hannover gesehen. Das Ensemble bestand aus Spielenden des Studiengangs Darstellendes Spiel sowie Sonderpädagogik und Spielenden mit Behinderungen, die sonst nichts oder wenig mit der Uni zu tun haben (das Institut Sonderpädagogik bietet ein Seminar an, in dem Menschen mit Behinderungen und Studierende gemeinsam politische Inhalte erarbeiten, viele der Spielenden des Abends kannten sich schon vom Seminar Gemeinsam lernen).

Das Stück alleine war schon richtig gut. Eine Auseinandersetzung mit der Zukunft, auch in der Zukunft. Doomscrolling und Resignation und was kommt dann? Alles, vor dem wir Angst haben, sollte uns nicht davon abhalten miteinander zu sprechen. Also interagiert das Ensemble mit seinem Publikum, fragt nach unserer Zuversicht und auf dem Screen sehen wir (uns) selbst, dass wir mit manch einem Hoffnungsschimmer nicht allein sind.

Mit viel Bewegung und Fokus auf der Bühne und einer beeindruckenden Einladung, sich die tiefergehenden Gedanken der Vorbereitungsphase gemeinsam mit dem Ensemble im After-Show-Gespräch anzusehen, nachzufühlen und selbst etwas beizutragen, lässt mich dieses Stück mit Hoffnung und Wärme zurück.

Besonders aufgefallen ist mir aber zuerst, dass das Stück nicht mit den Worten inklusives Theater betitelt oder beworben wurde. Und das erleichtert mein Herz. Ich habe mich schön öfter gefragt, ob das immer sein muss, ob Theater inklusiv sein kann, wenn man inklusives Theater drüber schreiben muss. Dieses hier war interdisziplinär, ich würde sogar soweit gehen zu sagen, es sei überdisziplinär!

Ich habe in meiner Berufslaufbahn genug Schüler*innen kennengelernt, die eine besondere Begabung im Bereich persönlicher Ausdruck und Rolleninterpretation haben, Menschen mit und ohne Behinderungen. Bei einigen Menschen im Autismus-Spektrum habe ich das auch schon oft beobachtet. Sie haben manchmal Vorbehalte wegen potentieller Zuschauer*innen, aber im Spiel selbst profitieren sie davon, wenn sie das Masking beherrschen, welches ihren Lebensalltag in Gemeinschaft oft ausmacht. Sie passen sich an und verstellen sich in ihrer täglichen Überlebensarbeit und manche schöpfen daraus fürs Theaterspielen ein unglaubliches Potential.

Schade bei dieser Vorstellung war nur, dass es die letzte sein sollte von nur zwei. Die Aufführungen finden auf der unieigenen Bühne statt. Zu wenig Platz für den Ansturm auf die Plätze, die kostenfrei über ein Buchungsportal angeboten werden. Ich frage mich und meine Freundin, die das Projekt an der Uni mitbetreut (in vielfältiger Weise und mit Hingabe), warum sowas Wunderbares nicht im öffentlichen Raum gezeigt werden kann.
Die Antwort kann ich nachvollziehen, weil die Produktion auf die Licht-, Raum- und Technikbedingungen des Uni-Spielraums ausgelegt sind, aber:

Mein lieber Scholli! Das Stück war wirklich gut und ich bedauere andere Menschen, es nicht sehen zu können!

Ich wünsche mir niedrigschwelliges Laientheater im öffentlichen Raum, barrierefrei, kostenlos so wie hier an der Uni, für alle und mit der Intention zu zeigen, was persönlicher Ausdruck dem gesellschaftlichen Druck und all der negativen Weltbetrachtungen entgegensetzen kann. Denn wie wir nun aus dem Stück wissen, eine Bewältigungsformel dazu hat uns Ronja von Wurmb-Seibel geschenkt, aus der Perspektive des konstruktiven Journalismus, indem sie folgende Formel aufstellt: Scheiße plus x

Zu jedem Problem gehört auch ein Stück Erlösung. Ein Teil-Lösungsvorschlag, eine Erinnerung, eine gute Geschichte, eine neue Idee, irgendwie sowas. Scheiße plus x ist für mich zum Beispiel kürzlich gewesen, mit dem Zug durch Burg in Sachsen-Anhalt zu fahren und zu wissen, dass im gleichnamigen Kurort Burg im Spreewald/Brandenburg zwei Lehrkräfte eine Schule verlassen mussten nach massiven Drohungen und Anfeindungen, weil sie couragiert und medienwirksam darauf aufmerksam machten, dass an ihrer Schule Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie in der Schüler*innenschaft massiv zugenommen hatte. Dann aber im selben Zug den Zugführer überall entlang der Strecke in Brandenburg total nette, unterhaltsame und informative sowie kecke Durchsagen machen hören, das ist mein x in dieser Sache. Das war Wertschätzung und Freundlichkeit, für jeden. Sowas von x!

Für mich persönlich und schon lang andauernd ist aber Theater mein x in der Lebensgleichung. Ich spiele selbst in einer Laiengruppe, leite auch eine Gruppe als Co-Spielleitung am wunderbaren Theater meiner gemütlichen Kleinstadt und dann habe ich ja noch meine Turbo-AG, die den Namen Theaterclub trägt. Theater macht aus Sätzen, aus Dialogen, aus Bewegungen und Dingen Geschichten und Erfahrungen, die das Herz oder den Kopf bewegen. Am besten sogar beides!

Danke, Uni Hannover – Darstellendes Spiel und Sonderpädagogik! Was mein x übrigens noch besser macht, sind eure Hinweisschilder für den öffentlichen Raum. Als ich sie sah und mir durchlas, welche Bedeutung das gesamte Ensemble ihnen zudachte, da dachte ich: JA! Keine Verbote und Gebote, sondern Angebote und Ideen, Hinweise auf Gemeinschaft! Das will ich auch! Und die Samen zum Selbstausäen, nicht ein bisschen Blümchen-Wunder sondern Obstbäume, die man zu ziehen angeleitet wird. Da sein, zur Welt sein und den positiven Blick auf die Welt nicht verlieren. Das geht auch so.

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