Ich will das gar nicht…so sein.

 

Der Unterstützungsbedarf Lernen hat komische Kriterien und ist eine Kategorie, die für mich alles pervertiert, was schulische Inklusion bedeutet. Es hilft nicht.

Und ich mag es nicht, dieses Gutachten-Schreiben. Jedesmal denke ich, dass ich damit eine Lebensbiographie mitbestimme, jedes Mal versuche ich Eltern die Sorgen zu nehmen, obwohl ich selbst Sorgen deswegen habe.

Was bedeutet eine diagnostische Überprüfung mit anschließender, amtlicher Labelung für die Gelabelten selbst? Wenn sie noch klein sind, und in dem Alter haben wir früher immer die Gutachten gemacht –zum Eintritt in die Schule – , da merken die das gar nicht. Sie freuen sich auf die Schule, kriegen es noch nicht mit, dass es eine andere ist. In den letzten 10 Jahren wurden die Gutachten immer zahlreicher. Hilfeschreie aus den Grundschulen, so wurde es gerne dargestellt. Und damit meine ich nicht nur Gutachten für den Unterstützungsbedarf Lernen, sondern auch für den UB geistige Entwicklung. Dann gibt es immer nochmal eine Welle, wenn die Kinder in die weiterführende Schule kommen. Darüber sollte man mal nachdenken.

Das sind Kinder und Jugendliche in einer sensiblen Phase ihres Lebens und Lehrkräfte urteilen sorgend ab über das Leistungsvermögen. Dann wird womöglich noch ein IQ-Test gemacht, wie es immer mehr in Mode kommt (durch Lehrkräfte wohlgemerkt, nicht etwa durch Kinder- und Jugendpsychiater, in deren Praxen das Routine ist). In meinem Studium habe ich noch gelehrt bekommen, dass die Verlässlichkeit eines IQ-Tests nicht viel über das zukünftige Leistungsvermögen aussagt. Er testet, das was der Testende testen will und ist stark abhängig von der Art und Weise des Testens. Und am Ende solle man so einen Test bloß nicht auf den einen Wert reduzieren. Und dann lese ich immer wieder, dass der Förderschwerpunkt Lernen sehr klar diagnostiziert werden kann durch einen bestimmten IQ-Bereich. Drüber, alles in Butter, drunter, oha, geistige Behinderung und mittendrin, wusste ich´s doch!

Ich lehne das ab. Ich schäme mich für diese Auffassungen in meinem Beruf. Ich erlebe täglich Kinder und Jugendliche, die mit ihren tatsächlichen Lern- und Lebensschwierigkeiten kämpfen. Da brauch ich keine amtliche Kategorie, um zu wissen, dass sie Hilfe benötigen oder Unterstützung oder Verständnis und Begleitung im Lernprozess. Manche kämpfen ihre ganze Schulzeit, manche brauchen diese Unterstützung nur für eine begrenzte Zeit.

Und natürlich braucht man Diagnostik, aber eine prozessbezogene und nicht wie bei der jetzigen Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs, einmal und dann ja eigentlich ehrlich gesagt nie wieder in der Form. Und natürlich braucht man Förderplanung, am besten eine kooperative und effektive Förderplanung. Und auch Hilfsmittel sollte man beantragen können. Aber warum muss man Kinder labeln? Gerade der Förderschwerpunkt Lernen. Kennen Sie eigentlich Kinder und Jugendliche, die den Unterstützungsbedarf geistige Entwicklung oder Lernen haben und darunter leiden? Ich kenne einige. Und ich rede mit Ihnen darüber, weil sie lernen müssen, darüber zu reden, wie sie sich fühlen und was sie sich wünschen.

Was mir auch weh tut und warum ich gerade heute diesen Text schreibe, ist der Umstand, dass Hilfen nicht bewilligt werden, wenn deutlich wird, dass das Kind ja “lernbehindert” ist. Nee, da zahlt das Jugendamt keine Therapie für Teilleistungsstörungen. Ist ja keine Teilleistungsstörung. Das ist meine Angst, während ich einen Antrag ausfülle. Soll ich da explizit hinschreiben, dass ein Unterstützungsbedarf Lernen vorliegt? Oder soll ich den Leistungsstand beschreiben und die Fördermaßnahmen, die in der Schule stattfinden? Ich lüge ja nicht.

Oder Nachhilfe nach dem Bildungs- und Teilhabepaket. Ich habe es schon erlebt, dass eine Absage kam mit der Begründung, das Kind könne zur Förderschule gehen oder die Klasse wiederholen, dann bräuchte es ja keine Nachhilfe mehr.

Ich gebe das bei Nachhilfe-Beantragungen schon gar nicht mehr an, wenn ich solche Anträge ausfülle. Obgleich ich weiß, dass das schon irgendwie ein bisschen nicht legal ist. Aber es ist so ungerecht. Wenn ein Mensch lernen will und alles dafür tun möchte, dann darf er nicht, weil jemand anderes beschlossen hat, diesem Kind eine Kategorie zuzuweisen, von der Ämter dann denken, das sei jetzt manifest und daher nicht weiter fördernswert. Ich werde zum Hulk bei sowas.

Ich könnte übrigens noch ewig weiter zetern. Was da alles dranhängt. Quasi alles, Vergangenheit, Zukunft, Schule, Zuhause, sozio-ökonomische Möglichkeiten, Selbstkonzept undundund.

Aus meiner Sicht brauchen nur die Institutionen Label, um zu sortieren und abzugeben – natürlich woanders hin. Eine inklusive Schule braucht das nicht. Sie braucht aber multiprofessionelles Personal, um richtig arbeiten zu können. Sie braucht Barrierefreiheit. Aber in erster Linie brauchen wir Rückendeckung aus Politik und Wirtschaft. Warum sieht das denn keiner von denen, wie wertvoll eine inklusive Gesellschaft ist und wie nachhaltig es wäre, jetzt loszulegen?

Es ist unfair, den Kindern das Gefühl zu vermitteln, sie wären rundherum anders als andere. Ich würde es lieber so handhaben, wie es ist. Sie haben Lernschwierigkeiten. Das fühlt sich manchmal schlecht an für die Betreffenden. Aber das bestimmt nicht, wer man ist oder was noch kommt im Leben. Eigentlich.

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